Georg Froeschel: »Der Schlüssel zur Macht«, 1919

von Mirko Schädel



Georg Froeschel: Der Schlüssel zur Macht, Wien, Prag, Leipzig: Ed. Strache 1919, Umschlagsgestaltung von »Stix«


Georg Froeschel, 1891–1979, war ein österreichischer Journalist, Schriftsteller, Drehbuchautor und erhielt 1942 einen Oscar für die Adaption des Drehbuchs für den Film Mrs. Miniver. 1936 hatte Froeschel bereits Österreich verlassen und es gelang ihm als einer der wenigen Exil-Schriftsteller eine zweite Karriere als Drehbuchautor in Hollywood.


Sein erster Roman, Der Schlüssel zur Macht, erschien bereits 1919 bei Strache in Wien, Prag und Leipzig. Dabei handelt es sich um einen ebenso komischen wie melancholischen phantastischen Kriminalroman, der sichtbare Einflüsse von Arthur Schnitzler, Sigmund Freud oder Otto Soyka aufweist. Manche seiner Romanfiguren wirken nach dem Leben gezeichnet, als wäre dieses Buch auch als Schlüsselroman zu lesen.


Der Held der Geschichte namens Edgar Willofsky ist ein Dozent der Kunstgeschichte, der im Hause des unantastbaren Geologie-Professors Lung verkehrt. Lung ist auch auf mathematischem Gebiet ein Koryphäe und dazu unfaßbar reich. Seinen Reichtum verdankt er afrikanischen Minen, die er entdeckt haben will. Willofsky sonnt sich in der geistreichen und kulturell anspruchsvollen Gesellschaft der Villa Lung. Schon bald faßt Willofsky Professor Lungs Tochter Jadwiga ins Auge, denn er glaubt in einer möglichen Ehe mit Jadwiga nicht nur gesellschaftlichen aufzusteigen, sondern verspricht sich auch ein künftiges Vermögen damit zu sichern, wenn der alte Herr den Löffel abgibt. Doch scheint sich Willofsky über seine eigene Unwiderstehlichkeit Illusionen zu machen. Jadwiga, eine hochgewachsene, schlanke, doch alles andere als schöne Erscheinung mit hellblauen Augen ist durchaus ein eigenwilliger, desperater Charakter.


Willofsky verabredet sich mit Jadwiga zu einem Rendezvous, das am Rande eines Ausstellungsbesuch des mit Willofsky befreundeten Kunstmalers Trenzin stattfinden soll. Bei dieser Gelegenheit will Willofsky dem Opfer seiner geplanten Vernunftehe seine Liebe erklären. Doch seine Wortgewandtheit versagt zunächst und wird durch so eine profane Reaktion Jadwigas wie »Ach so…« gebremst. Willofsky sieht seine Felle davonschwimmen und nimmt einen neuen Anlauf, der in pathetischem Schwampf endet. Er wird von Jadwiga bedauernd abgewiesen – und so verliebt sich Willofsky in diese Frau, die seinen Reizen zu widerstehen scheint.


Während diese Episode ihre komische Wendung nimmt, ereignet sich in der Villa Lung gleichzeitig ein Verbrechen, das durchaus den Eindruck eines unglücklichen Unfalls macht. Professor Lung geht ans Telefon, hört dem Gesprächsteilnehmer einige Augenblicke zu um dann mit dem Hörrohr am Ohr bewußtlos zusammenzubrechen – ein Arzt diagnostiziert einen Herzinfarkt. Doch Jadwiga, verständlicherweise am Boden zerstört, glaubt an ein rätselhaftes Verbrechen, während Willofsky sich die Wunden leckt und beschließt die Villa Lung nie wieder zu betreten. Doch einige Zeit später treffen Jadwiga und Willowsky noch einmal auf der Beerdigung des Professors zusammen. Jadwiga bittet Willofsky anschließend zu einem Gespräch – und Willofsky beginnt neue Hoffnung zu schöpfen, denn seit seiner Abfuhr befindet er sich in einem Taumel unglücklicher Verliebtheit.


Das Gespräch entwickelt sich jedoch eher zu einer geschäftlichen Verhandlung, die um die Frage kreist, wer Professor Lung ermordet habe und vor allem wie dieser Mord technisch umgesetzt wurde. Willofsky mutmaßt, das er möglicherweise dieses mysteriöse Verbrechen aufklären kann und dann mit einer Heirat Jadwigas belohnt werden könne, obwohl davon tatsächlich nicht die Rede war. Willofsky dankt für Jadwigas Vertrauen und beginnt sich als Detektiv zu betätigen. Er nimmt Einsicht in die Papiere des Verstorbenen und beginnt mit der Recherche – in der irrigen Annahme, er werde Jadwiga doch noch zum Traualtar führen.


Die erste Entdeckung, die Willofsky macht, bezieht sich auf das beträchtliche Vermögen des Professors – er stellt fest, daß der Professor zeitlebens jedes Jahr eine knappe Million überwiesen bekam von einer in Nordafrika tätigen Minengesellschaft. Willofsky, der sich mit wirtschaftlichen Fragen nicht auskennt, liest zufällig in der Zeitung, daß jene Minengesellschaft das lächerliche Stammkapital von 2 Millionen aufweist und fragt sich, wie es dieser Firma möglich war, jährlich eine Million an Professor Lung auszuschütten. Selbst ein Laie wie Willofsky wird klar, daß es sich hierbei um die Verschleierung von Geldströmen handeln muß.


Willofsky reist umgehend nach Paris um sich dort mit der Geschäftsführung dieser Minengesellschaft auseinanderzusetzen. Dort erfährt er, daß diese Firma lediglich den Transfer des Geldes übernommen hat, die knappe Million stamme tatsächlich aus der Bank von Monte Carlo, der selben Bank nämlich, der auch das berühmte Spielcasino gehört. Unser Held reist weiter nach Monte Carlo um dort mit dem Direktor der Bank zu sprechen. Der beißend liebenswürdige Herr Direktor der Bank von Monte Carlo drückt sich jedoch derart unverdächtig aus, daß Willofsky ahnt, daß er auf der richtigen Spur ist. Man erklärt ihm, daß Professor Lung einst geologische Untersuchungen durchführte, die erst den Bau der Spielbank ermöglichte. Und als Zeichen der Anerkennung und lebenslänglichen Dankbarkeit sandte die Bank von Monte Carlo alljährlich eine Million an Professor Lung. Eine hanebüchene Erklärung, die den tatsächlichen Grund dieser Überweisungen nur zu verschleiern versucht.


Willofsky hält sich einige Zeit in Monte Carlo auf, wo er auch die Spielbank inspiziert und Roulette zu spielen beginnt. Das Glück des Anfängers ist ihm gewiß, so daß er 50.000 Franc gewinnt. Am folgenden Tag verliert er jedoch 10.000 Franc und kommt mit einem alten Spieler ins Gespräch, der ihm von einem etliche Jahre zurückliegenden Ereignis in Kenntnis setzt. Damals sei nämlich ein Herr in die Spielbank gekommen, der unablässig gewonnen habe und dann von einem Tag auf den anderen spurlos verschwand. Dieser Herr habe wohl das System ersonnen, von dem jeder Spieler träumt. Eine mathematische Formel, die sich der Wahrscheinlichkeitsrechnung bedient und gleichzeitig aushebelt. Unser Held ahnt bereits, daß es sich hierbei um den ermordeten Professor Lung handeln muß, der sich ebenfalls für die Wahrscheinlichkeitsrechnung interessierte und in eben jener Zeit seinen Reichtum begründete. Willofsky vermutet, daß das Casino und die Bank von Monte Carlo dem Professor einen Vertrag angetragen haben, in dem jene Zahlungen verabredet wurden, die Professor Lung wiederum verpflichteten auf sein »System« künftig zu verzichten.


Aufgrund von Andeutungen wird Willofsky klar, daß die Spielbank mit diesem Vertrag überaus zufrieden war – und somit nicht nötig hatte den Professor auszuschalten. Es muß eine dritte Partei in diesem mörderischen Spiel eben, die offenbar ebenfalls auf der Jagd nach dem System sei und für die Bank von Monte Carlo zur Gefahr werden könnte.


Willofsky reist zurück nach Berlin und möchte Jadwiga von seinem Verdacht in Kenntnis setzen. Nach einigen Umwegen kommt es zur Aussprache, und auch ein Freund Willofskys taucht unvermittelt bei Jadwiga auf, nämlich der Schriftsteller Hektor Sakkos, ein undurchsichtiger Mensch, der nun ein Geständnis vorträgt. Er habe nämlich Professor Lung ermordet, er sei derjenige, der hinter das Geheimnis gekommen sei und das System gesucht habe. Doch Sarkos ist auch klar, daß er ohnehin zum Tode verurteilt sei, denn er habe keine Vereinbarung mit der Bank von Monte Carlo getroffen. Er weiß, daß die Drahtzieher dieses einträglichen Geschäfts heute keine Verträge mehr abschließen werden, sondern denjenigen beseitigen lassen, der sich im Besitz des Systems weiß.
Sarkos habe Professor Lung telefonisch ermordet, er hatte eine Grammophonaufnahme mit der Stimme Jadwigas, die für ein Schmierentheater eine Rolle einstudiert hatte. Bestandteil dieser Rolle war auch Jadwigas Hilferuf an einen imaginierten Vater, der mit einem Angstschrei endete. Sarkos ließ sich mit dem Professor telefonisch verbinden und behauptete also, daß er Jadwiga in seiner Gewalt habe, und sie erst freilasse, wenn er sich in den Besitz des Systems, jener Formel, gebracht habe. Darauf ließ Sarkos die alte Aufnahme mit Jadwigas Hilferuf erschallen, so daß der Professor mit einem Herzinfarkt zusammenbrach. Sarkos wird jedoch am Ende selbst Opfer eines ausgeklügelten, perfekten Mordes, denn die Spielbank in Monte Carlo läßt nicht mit sich spaßen.

Bereits um 1907 hat J.C.J. Ommerborn bzw. Born-Ommer eine ähnliche technische Mordapparatur entwickelt, siehe: http://www.todspannung.de/J-C-J-Ommerborn-Der-geheimnisvolle-Phonograph-Eine-indische-Kriminalgeschichte,-um-1907-Mirko-Schaedel/